Die ersten Geschichten, die mir in Erinnerung geblieben sind, waren nicht die Märchen von Prinzessinnen, Fröschen, Zauberern und Hexen, sondern die antiken und mittelalterlichen Sagen mit ihren vielen Helden von Achilles bis Hagen von Tronje in ihren längst ergangenen Zeiten.
Der Geschichtsunterricht der Grundschule war dank unseres großartigen Lehrers Herrn Schulze mein Lieblingsunterricht. Vielleicht musste es dann so kommen, dass ich ein Studium der alten Geschichte, der Ur- und Frühgeschichte und der klassischen Archäologie absolvierte. Ein Glück, wenn man das, was einen schon immer fasziniert hat, studieren und auf Ausgrabungen sogar in Händen halten darf! Die Idee, ein Stückchen dieser Faszination in Kinder weiter zu geben, entstand in der Zeit nach der Einschulung meines Sohnes. Zum einen musste ich mit Entsetzen feststellen, dass es keinen Werkunterricht mehr gab und auch bis heute nicht gibt. Auf der anderen Seite sah ich bei vielen Kindern aber eine große Freude daran, etwas mit ihren Händen zu schaffen und auch ihre Faszination für all die spannenden Dinge aus vergangenen Epochen. Diese Kinder wussten unheimlich viel aus Büchern und Hörspielen über die Urmenschen, die Griechen, Römer und die Ritter.
Da ich neben meiner großen Begeisterung für die Geschichte auch schon immer einen ausgeprägten Hang für praktisches Arbeiten hatte, entstand in mir die Idee, beides zu kombinieren und in die Schulen, die Kitas, die Freizeiteinrichtungen, das Zuhause und alle Orte, an denen interessierte Kinder sich aufhalten, zu tragen. Was lag daher näher, als mich im weiten Feld der experimentellen Archäologie umzuschauen. Damit tauchte ich ein in eine wunderbare Welt, welche ich schon im Studium mit großem Interesse verfolgt hatte.
Ich begann damit, zu erkunden, welche Gegenstände und Tätigkeiten aus den Bereichen, in denen ich im Studium das nötige theoretische Rüstzeug erworben hatte, in den Schulen nachempfunden werden konnten. viele Dinge, die in beeindruckender Art und Weise von Museen und Archäologie- Titelthema Archäologix Experimentelle Archäologie für Kinder Kirstin Hansen, Berlin „Diie warren jja arr niichtt so dumm,, diie Stteiinzeii ttmenschen“ Höhlenmalerei Höhlenbilder in Schiefer geritzt Drillbohrer angeboten werden, fielen aufgrund ihrer nicht transportablen Natur weg oder sind im Großraum Berlin bereits gut vertreten, wie z.B. Bronzeguss, Ofenbau, Brotbacken, Birkenpech herstellen, Häuserbau und vieles mehr.
Aber was war mit Feuer machen, Flintsteinwerkzeuge herstellen, Papyrus pressen, Wachstafeln gießen und und und…? Den Schulen ist es nicht immer möglich, Ausflüge zu organisieren. Also kann nicht das Geschichtserlebnis in die Schule kommen? Ich habe mich umgeschaut, gelernt und geübt. Dabei waren mir einige Einrichtungen eine wirklich große Hilfe. Der Steinzeitpark in Albersdorf (www.aoeza.de) mit seinen engagierten, hilfsbereiten und für alle Fragen offenen Mitarbeitern hat mich an allen angebotenen Techniken teilnehmen lassen.
Für die römische Zeit fand ich große Unterstützung beim Forum Traiani (www.forumtraiani. de). Auch hier wurde mir mit vielen praktischen Tipps und Hilfestellungen bei der Verwirklichung meiner Idee geholfen.
Diese Hilfsbereitschaft war leider nicht in allen Einrichtungen vorhanden. Meine Arbeit ist natürlich keine Konkurrenz zu bestehenden Institutionen ähnlicher Ausrichtung, zu anderen Projektleitern oder dem Lehrpersonal. Sie ist eine wunderbare Ergänzung in unserem gemeinsamen Ziel, Kindern Impulse zu geben. Das macht es auch wert, sich mit dem einen oder anderen bürokratischen Hindernis auseinander zu setzen.
Im Berliner Schulrahmenplan sind sogenannte andlungsorientierte Unterrichtsprojekte ausdrücklich erwähnt und erwünscht. Die ealisierung und vor allem die Finanzierung verlangt jedoch den Schulleitern und den ehrern einiges ab. Auch uns Projektleitern werden Hürden in den Weg gelegt. So ist es z.B. zumindest in Berlin – nicht möglich, das für die Projekte notwendige erweiterte ührungszeugnis zentral an einer Stelle zu hinterlegen, an der die Schulleiter dies dann brufen könnten, sondern es muss für jedes Projekt neu beantragt werden. Dies stellt einen erheblichen Aufwand dar. Ich würde uns allen eine Vereinfachung und Entbürokratisierung für unsere Arbeit wünschen! „Das warr jja ganz schön schwiierr iig,, biis man so eiin Feuerr hatt tte!!“
Mein Sohn war in der Zeit des Erlernens der – meist freiwillige – Proband. Eine benachbarte Grundschule erklärte sich bereit, mich meine autodidaktisch erworbenen Fähigkeiten in Form einer Arbeitsgemeinschaft mit einer Gruppe von Schülern erproben zu lassen. Ich merkte sofort, dass dies das war, was ich machen wollte! In diesem ersten Jahr konnte ich feststellen, was möglich war und was nicht und was verbessert oder verändert werden musste.
Mein Ziel ist es, die Gegenstände so authentisch wie möglich herzustellen. Natürlich sind dabei manchmal Konzessionen an die moderne Zeit und die Möglichkeiten im schulischen Alltag zu machen. Deswegen entsprechen die von mir angebotenen Themen sicherlich nicht im streng wissenschaftlichen Sinn der experimentellen Archäologie, aber ich bin der Meinung, dass unter diesem Oberbegriff gut vorstellbar ist, was ich mit den Kindern dache.
Im zweiten Jahr war ich dann soweit, das Gelernte in Form von Unterrichtsprojekten und Arbeitsgemeinschaften an anderen Schulen anbieten zu können. Seitdem kommen jedes Jahr neue Schulen hinzu, die mit mir zusammen arbeiten. Die Projekte können von wenigen Stunden über ganze Tage bis zu ganzen Projektwochen geplant und ausgeführt werden. Aus den Bereichen Steinzeit, Ägypten, Rom und Schriftentwicklung können die Lehrer sich ihren Erlebnisunterricht in einem Baukastensystem aus den angebotenen Themen zusammensetzen. Ein Steinzeittag, ein Projekt über antike Kinderspiele oder doch die Entstehung und Entwicklung der Schrift?
Diese und viele andere Themen habe ich inzwischen realisiert. Seit zwei Jahren bin ich auch Gast auf der „Langen Nacht der Wissenschaften“ und führe dort steinzeitliche und antike Methoden zur Feuererzeugung vor. Jedes Projekt ist anders und individuell geplant. Ob ich nun das Bauen und Gießen von römischen Wachstafeln mit 3 Klassen gleichzeitig – insgesamt 76 Kinder – organisiere, den Ablauf einer ganzen Projektwoche plane, mir Gedanken über einen Ägypter- Geburtstag Sache oder Material für viele hundert Steinzeitmesser sammle: Mit jedem Mal lerne ich och dazu oder entwickle neue Ideen.
Jedes Projekt ist auch verbunden mit wunderbaren Erfahrungen und Erinnerungen. Mein Ansatz liegt nicht in der reinen Wissensvermittlung – dies geschieht während der praktischen Arbeit oft von ganz alleine und ganz nebenbei – sondern darin, Geschichte und Vergangenes „begreifbar“ und „fassbar“ zu machen, also einen Eindruck zu vermitteln, dass Geschichte überall um uns herum ist und uns täglich begegnet: z.B. in Form von Namen und Sprichwörtern.
Wenn die Kinder sehen, dass die Ägypter mit roter Tinte in ihren Texten Dinge hervorgehoben oder Fehler korrigiert haben und die Römer gerne Mühle gespielt haben, sind sie uns gar nicht mehr so fremd.
Nach inzwischen 7 Jahren Projektarbeit an Berliner und Brandenburger Schulen sind noch weitere Anliegen dazu gekommen: Durch den erwähnten Wegfall des Werkunterrichts und die zunehmende Entfremdung vieler Kinder von der Natur vermittle ich in meinen Geschichtsprojekten auch den Umgang mit Werkzeugen, Feuer und – eigentlich selbstverständliche aber oft verlorengegangene – Fähigkeiten wie Knoten, Fädeln und Flechten. „Da haben diie Römerr jja ettwas Toll lles err ffunden!!“
In dem Moment, wo sie etwas herstellen, passiert unheimlich viel in den Köpfen der Kinder und die Fragen sprudeln von ganz alleine aus ihnen heraus. Nicht alle kann ich sofort beantworten, dann muss auch ich manchmal Hausaufgaben machen. Vieles geht über das reine Geschichtserlebnis hinaus, ob es nun die Erklärung ist, dass Flintstein aus Kieselalgen, also aus Lebewesen entstanden ist, dass Bernstein eigentlich Brennstein hieß oder in den Thron von Kaiser Karl ein Rundmühlespiel eingeritzt ist.
Es gibt so viel Spannendes rund um die Geschichte. Auch viele der anderen Schulfächer kommen mit zum Tragen: Physik bei der Mechanik des Drillbohrers und der Speerschleuder, Mathematik und Geometrie beim Bau eines Abakus’ oder der Einteilung eines Spielfeldes, Deutsch bei der Schriftentwicklung, wenn wir sehen, wie viele Worte und Sprichworte ihren Ursprung in lange vergangenen Zeiten haben.
Für meine Projekte bringe ich auch oft etwas Natur mit in die Schulgebäude: Kiefernrinde für die Messergriffe, Distelsamen für das Feuer, Bienenwachs für die Wachstafeln und
vieles mehr. Erstaunlich oft werde ich von Kindern gefragt, wo man denn die Kiefernrinde
oder Distelsamen kaufen könne. Wenn ich dann sage, dass dies wie schon in der Steinzeit
gesammelt werden muss, manches auch nur zu bestimmten Jahreszeiten, ist das Staunen doch oft groß. Jedes Kind kann aus den Projekten etwas anderes mitnehmen.
Ganz besonders freue ich mich, wenn die Begeisterung der Kinder auch nach dem Projekt noch weiterlebt: wenn die Eltern mir z.B. erzählen, dass ihr Kind den Kies der Einfahrt des Nachbarn noch Flintsteinen durchwühlt hat! Am stärksten in Erinnerung geblieben
ist mir ein Mädchen, welches im Rahmen einer Projektwoche „Zeitreise“ teilgenommen
hat: Ein großer Teil dieser Zeitreise bestand aus der Schriftentwicklung: Von den Höhlenbildern über die Keilschrift, die Hieroglyphen bis zur römischen Kursivschrift
haben wir Schreibmaterialien wie Stein, Ton, Papyrus, Wachs und Schreibgeräte wie Binsen, Federn und Meißel kennengelernt. Der Klassenlehrer war skeptisch, ob dieses
Mädchen bei mir richtig sei, da sie eine Lese-Rechtschreib-Schwäche habe. Es passierte dann im Laufe der Woche etwas ganz Erstaunliches: Sie hatte eine so große Freude
an den unterschiedlichen Schreibmaterialien und Schriftarten, dass sie sich freiwillig für die als Präsentation unseres Projektes geplante Schreibstube meldete. Dort konnten sich die Besucher ihren Namen auf Papyrus in Hieroglyphen oder römischer Kursive schreiben
lassen. Ihre Schwierigkeit lag einzig und allein in dem Buchstabieren des Namens auf Deutsch, die Umsetzung in antike Schriftzeichen ging problemlos. Sie war für 3 Stunden
die Leiterin der Schreibstube! Ich hoffe sehr, dass sie die Freude am Schreiben mitnehmen konnte! Mit Blick auf die rasante Entwicklung unserer Kultur mit allen Vorund Nachteilen hoffe ich sehr auf eine fächer- und institutionsübergreifende Zusammenarbeit mit dem Ziel, die Kinder zu „erden“.
Mehr Informationen unter www.archaeologix.com
Ich freue mich auf neue Kontakte!
2 Antworten auf „Archäologix – experimentelle Archäologie für Kinder“
Hallo Frau Lehmann,
gerne helfen wir ihnen dabei weiter. Bitte setzen Sich sich doch mit uns in Verbindung. Denke das ist eine schöne Aufgabe für unseren gemeinnützigen Verein vom Forum Traiani. Bitte kontaktieren Sie mich unter info@forumtraiani.de.
Vale Andreas Hopson
Ich habe ihre Veröffentlichung mit großem Interesse gelesen. Wir planen zur Zeit eine Projektwoche zum Thema Ausgrabungen/ Archäologie und sind dabei auf Hilfe angewiesen, vielleicht haben sie noch Ideen für uns bzw. könnten sie diese Woche unterstützen, Auf unserer Homepage können sie sich über unsere bereits durchgeführten Projekte informieren. Ich würde gern mit ihnen in Kontakt treten.
Mit freundlichen Grüßen
I. Lehmann